Das verfluchte siebte Jahr

Wagner * Der fliegende Holländer / Rezension der Landeszeitung Lüneburg von Hans-Martin Koch

Lüneburg. Es ist eng im Graben. 50 Musiker drängen sich. Mehr geht nicht. Es könnte jetzt gleich auch eng auf der Bühne werden, so viel (Extra-)Chor tummelt sich auf den Planken, die Wagners Welt bedeuten. Das Lüneburger Theater wagt sich wieder an Großes, an romantische Oper, an eine düstere dramatische Ballade. „Der fliegende Holländer“ bringt den Saal an Grenzen der Akustik, trumpft dabei musikalisch auf, bekommt eine konzentrierte Inszenierung – und verdient sich ganz viel Beifall.

Produktionen von Hajo Fouquet (Regie) und Stefan Rieckhoff (Ausstattung) suchen immer den Kern der Werke, schälen ihn weitestmöglich frei. Rieckhoffs Bühnenbilder legen mit wenigen, prägnanten Zeichen den Grund. Hier ist es in Gold gerahmt – überlebensgroß – die schemenhafte Silhouette eines Mannes, der in fernes Licht aufbricht.

Das ist er, der alle sieben Jahre auftauchende mysteriöse Seefahrer aus der Sage, die bei Heinrich Heine noch satirisch gebrochen ist. Wagner dreht sie ins Dunkle und findet sein Kernmotiv: Erlösung durch Untergang, und dazu braucht es bzw. er, der Verfluchte, das ewig Weibliche. Mit Liebe hat das nichts zu tun, eher mit Mystik und Märchen, mit Fluch und Segen, mit innerer Unrast, mit Sehnsucht nach einem Heimat-Utopia. „Ihr Welten, endet euren Lauf! Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!“, donnert der Titelheld.

Frauen auf Häuslichkeit getrimmt
Fouquet/Rieckhoff legen die ursprünglich um 1650 spielende Geschichte so etwa hundert Jahre vor unserer Zeit an. Gegen Wagners Weltbild kommen sie nicht an. Ziehen die Männer auf schwankenden Planken hinaus in die Ferne, werden die Frauen auf Häuslichkeit getrimmt. Sie sitzen in der Segelflickschule, bewacht von Sentas Amme Mary, die Dobrinka Kojnova-Biermann mit Gouvernanten-Zickigkeit singt und spielt.

Senta aber schert aus dem Unterricht aus. Sie hockt abseits, lebt sozial und emotional in einer eigenen Welt – und umklammert ein Bild. Es zeigt den bald auftauchenden, schimärenhaften Fremden, für den sie bedingungslos ihr Leben gibt. Senta rückt ins Zentrum der Inszenierung. Es ist eine Partie, bei der Signe Ravne Heiberg ihr überragendes Potenzial zur Wirkung bringen kann. Es steckt sehr viel Gefühl in Sentas großer Ballade, in der das ganze Drama steckt. Im Verlauf reißt Heiberg vor allem durch ihre unfassbare Power mit, das Haus ist zu klein für ihre Stimme. Sie beeindruckt über die Maßen, mit einem Plus an Differenzierungen würde sie allerdings noch stärker das Innere berühren, bis ihre Senta dem Fremden ins – ewige? – Licht folgt.

Symphoniker halten dagegen
Senta und der verfluchte Holländer suchen sich, sie finden sich und kommen sich, wie Hajo Fouquet zeigt, doch nur in einem ideellen Sinn nah. Sie folgen inneren Vorstellungen, Visionen, Besessenheit. Lars Fosser bringt für die Titelpartie die Klasse eines welterfahrenen Sängers ein, absteigend in schwärzesten Bass und mit einem gewaltigen, auch bis an den oberen Rand ausgereizten Volumen.

Die Lüneburger Symphoniker samt vieler Gäste halten dagegen, halten mit, setzen unendlich viele, bläserbetonte Farben, bauen Druck und Drama, Blitz und Donner auf. Auch dass sie, die Hörner voran, blitzsauber spielen, zeigt Klasse und Engagement, mit denen Thomas Dorsch das Orchester durch den Abend leitet. Den kraftvollen, großen, auf der Bühne zu eindrucksvollen Bildern gestellten Chor hat Phillip Barczewski vorbereitet, unterstützt von Steffen Neutze.

Zwei der Solisten waren schon vor 20 Jahren dabei. Ulrich Kratz, damals in der Titelpartie, zeigt nun mühelos den berechnenden, keinesfalls leicht zu singenden Daland, der in Sekundenschnelle seine Tochter verkauft, als ihm der geheimnisvolle, als seriöser Kaufmann gekleidete Holländer Reichtum verspricht und eine Glitzerkette zeigt. Karl Schneider bringt die Verzweiflung und Enttäuschung Eriks auf den Punkt, der sieht, wie sich seine Liebe zu Senta in Nichts auflöst. Schneider sang 2000/2001 den Steuermann, den nun Timo Rößner effektvoll zur Geltung bringt, alternierend mit Alexander Tremmel.

Richard Wagner fand, die Oper solle ohne Pause gespielt werden. Aber hier passt der Schnitt, der kurze zweite Teil gewinnt als Essenz eines gewaltigen Vorlaufs enorm an Wucht und Dramatik. „Der fliegende Holländer“ ankert wieder am 14. und 19. März und weiter bis Mitte Juni im Theater und wird weiterhin ein stürmisches Echo erhalten.