Meisterkonzert — Moll und gut

Lüneburg. Bachs Toccata und Fuge (BWV 565) aus der Arnstädter Zeit um 1704, Brahms Klavierkonzert Nr. 1 op. 15 aus den frühen 1850er-Jahren und Robert Schumanns 1841 konzipierte 4. Sinfonie haben etwas gemeinsam: Sie stehen alle in d-Moll. Grund genug für Dirigent Thomas Dorsch, die Benennung der Tonart als Motto des ersten Meisterkonzerts der Lüneburger Symphoniker zu wählen.
Tonarten werden seit der Antike Wirkungen auf Emotionen zugeschrieben. Dass solche Zuschreibungen auch subjektiv sind, weiß man in unserer Musikwelt, in der Dur- und Moll-Tonleitern auf allen Tönen des Klaviers gleich gebaut sind. Jedoch haben Komponisten berühmte Werke hinterlassen, deren Tonart ihren Charakter ausmacht. So die Toccata d-Moll, das vielleicht populärste Bach-Stück, auch wenn es möglicherweise gar nicht von ihm stammt. Theoretiker spüren in vielen d-Moll-Stücken Bachs die Affekte Angst und Trauer auf, Schmerz und Ratlosigkeit. Die Orgel-Toccata aber ist aufgrund ihrer sich auftürmenden Akkorde und virtuoser Abschnitte ein Vorführstück, das Tonart, Spieltechniken, Klangfacetten genial auslotet.
Bach-Toccata als modern klingendes Orchesterstück.
Dessen dramatisches Potenzial zeigten die Symphoniker mit der ungeheuer dynamischen Aufführung einer von Thomas Dorsch instrumentierten Orchesterfassung. Wunderbar, wie Dorsch Streicher oder Bläser unisono einsetzen lässt, Stimmen und polyphone Strukturen transparent werden und Klangfarben für sich selbst sprechen. Die Toccata erklang als eigenwillig bizarr und modern klingendes Sinfonie-Presto.
Schönklang und weitschweifige melodische Bögen prägten die 4. Sinfonie von Schumann. Klar arbeitete Dorsch das Motivgeflecht heraus, er ließ die Symphoniker teils mit lyrischer Ruhe, teils in vehementen Tempi spielen, stets auf Transparenz und Wohlklang bedacht.
Das 1. Klavierkonzert von Brahms dagegen wirkte wesentlich explosiver, teils wild in drängender Explosivität. Der 20-minütige Kopfsatz beginnt mit einem brisanten Themeneinfall am Klavier, den Solist Markus Becker mit der nötigen gebändigten Kraft und Bravour demonstrierte. Der Virtuose, Gewinner begehrter Preise, hat Erfahrung mit diesem Konzert, das pianistisch so gut wie alle Grenzen sprengt. Becker spielte kraftvoll, ohne überbetontes Pathos, und er stimmte auch die melodischen Passagen sehr fein mit den Symphonikern ab. Dorsch führte das Orchester mit großer Übersicht und Temperament durch alle Klippen. Bei den Zuhörern löste das Bravorufe aus.
Becker verknüpfte in zwei Solo-Zugaben seine Affinität zu Max Reger und zum Jazz. Am Donnerstag, 20. Oktober, gibt er um 20 Uhr in der Musikschule ein Solo namens „Kiev/Chicago“. Hier wird er Moussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ mit Jazzimprovisationen kombinieren.

Landeszeitung Lüneburg
Von Antje Amoneit