Wenn aus Buchstaben Musik wird

“Am Anfang: das Wort”‘ unter Thomas Dorsch: Kongeniales 1. Sinfoniekonzert im Stadttheater

HILDESHEIM. Musikdramaturg lvo Zöllner betritt die Bühne des Stadttheaters. “Am Anfang stand nicht nur das Wort, sondern auch der Stau.” Einige Musiker der Lüneburger Symphoniker haben sich verspätet, also verzögert sich das 1. Sinfoniekonzert der TfN-Philharmonie mit den Lüneburgern. Doch das Warten hat sich gelohnt.
Unter der packenden Leitung von Thomas Dorsch, der seit der Spielzeit 2013/14 Musikdirektor am Theater Lüneburg engagiert ist, läuft im Gemeinschaftskonzert ein gewaltiger Klangkörper zu Hochform auf. Der Programmtitel “Am Anfang: das Wort” liefert Werke von drei Jubilaren (100. Geburtstag Benjamin Britten, 200. Geburtstag Georg Büchner, 150. Geburtstag Richard Strauss im kommenden Jahr), die sich von konkreten Worten leiten ließen.
Dorsch, der von 1997 bis 2005 als 1. Kapellmeister und Chordirektor am Stadttheater Hildesheim wirkte, führt das ihm bestens bekannte und vertraute Orchester mit seinem Lüneburger Klangkörper harmonisch zusammen. Die ersten Pulte sind mit den Gästen aus dem Norden besetzt, und so heißt der brillante Konzertmeister des Abends Markus Menke.
Bereits Benjamin Brittens “Sinfonia da Requiem” (op. 20), passend auch zum Totensonntag, wühlt auf. Das Pochen, die Dunkelheit und die abschließenden tröstenden “Worte” des sinfonischen Werks reifen zu einem versöhnlich orchestralen Trauergesang.
Die amerikanische Sopranistin Lauren Welliehausen, die derzeit in der Rolle der Senta in Richard Wagners Oper “Der fliegende Holländer” im TfN zu erleben ist, präsentiert die “Drei Bruchstücke” aus Albari Bergs “Wozzeck”. In den ersten beiden Stücken (Militärmarsch und Maries Wiegenlied sowie die Bibelszene) springt, die wandlungsstarke Sängerin mühelos in die multiple Rolle und spiegelt die Zerrissenheit Maries wider. Mit tragender Stimme, zwischen verzweifelten Schreien und sanften Tongebungen zeichnet Welliehausen mit dem Orchester die Figur. Doch wo bleiben im dritten Bruchstück die im Programm angekündigten Kinder? Eines war krank geworden, also übernimmt Welliehausen auch die Kinder-Partie, die allerdings etwas unsicher gerät.
Mit Richard Strauss’ Tondichtung “Also sprach Zarathustra” (op. 30}, frei nach Friedrich Nietzsche, präsentieren die Orchester ein bewegendes Musikdrama ohne Worte. Die Atmosphären des Werks einzufangen, gelingt diesem vortrefflichen Klangkörper vom Wohl bekanntesten Sonnenaufgang-Motiv bis hin zum friedlichen Schluss einschließlich der finalen markanten Trompetenmotive in den tiefen Streichern. Religiöse Anleihen, ironische Brechungen wie in der akademischen Fuge (“Von der Wissenschaft”) oder der launige Walzer entfalten sich in diesem mosaikartigen, fein gezeichneten, kunstvoll gestalteten Klangbild formvollendet.
Der sympathische Dirigent Dorsch hält den direkten Draht zu seinen früheren und jetzigen Musikern, und dabei entstehen so kongeniale Gemälde und Aussagen wie in diesem durchschlagenden Konzert. Beifallsstürme und Bravorufe für Dorsch und den orchestralen und künstlerischen Reichtum.

 

Hildesheimer Allgemeine Zeitung 26.11.2013 VON BIRGIT JüRGENS

 

Wenn aus Buchstaben Musik wird