Meisterhaft taktvoll

Thomas Dorsch bringt als frischgebackener Musikdirektor des Theaters Lüneburg nicht nur ehrgeizige Projekte auf den Weg. Mit seinen ersten Konzerten präsentiert er dem Publikum auch den neuen Klang der Lüneburger Symphoniker.

Schwungvoll betritt der Musikdirektor des Lüneburger Theaters die Kantine, schlägt einen Bogen zum Kaffeeautomaten, greift im Vorübergehen eine Tasse Frischgebrühten und tut, indem er sich auf einen Stuhl fallen lässt, kund, dass dies ganz offensichtlich einer dieser verflixten Tage sei, in denen der Wurm stecke. Nein, hinterfragen solle man nicht, es ist einfach nur der ganz normale Wahnsinn des Theateralltags. Ein schräges Grinsen – ein schalkhafter Blick durch die runden Brillengläser, dann ist er angekommen.

Thomas Dorsch ist Chef der Lüneburger Symphoniker und einer der neuen leitenden Köpfe des Drei-Sparten-Theaters, die Spielzeit 2013/2014 seine erste in der Hansestadt Lüneburg. Sein Einstand hätte besser nicht sein können, sowohl die musikalischen Umsetzung der Donizetti-Oper „Lucia di Lammermoor“ als auch der umjubelten Auftakt der Meisterkonzerte, den er unter dem Titel „Zeitenwende“ dem Spätbarock und der Wiener Klassik widmete, waren ein schöner Erfolg – und ein herzliches Willkommenheißen in der Salzstadt.

Neben dem Orchestralen und den Opern, die in der aktuellen Spielzeit dem Publikum präsentiert werden, sind es dann auch diese Meisterkonzerte, denen er sein besonderes Augenmerk schenken will. Getragen werden sie unter anderem von dem Leitgedanken der Kooperation – und dies gleich in mehrfacher Hinsicht. „Eine Brücke zu schlagen zwischen den verschiedenen Stilrichtungen, zu neuen Partnern innerhalb und über die Grenzen Lüneburgs hinaus, Verbindungen zu Kirche und Kantoren zu schaffen, das ist die Idee“, erläutert Thomas Dorsch sein ehrgeiziges Vorhaben. Schauen, wie sich Kräfte und Möglichkeiten bündeln lassen, um daraus Neues zu schaffen. Gastspiele in Wismar und Hildesheim bedeuten nicht nur den Blick über den lokalen Tellerrand. Sich über die Grenzen hinaus zu orientieren birgt auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung. „Wenn ein Konzert nur einmalig aufgeführt wird, ist dies für Musiker oft unbefriedigend und bringt ein Ensemble nicht weiter“, weiß der Dirigent. Demzufolge setzt er bewusst auf den Lernprozess und das stete Verfeinern des Repertoires; und dies tritt eben nur dann ein, wenn die Chance auf Wiederholung gegeben ist.

Die Unzufriedenheit mit der Interpretation klassischer Musik hat den gebürtigen Hannoveraner dazu bewogen, mit „Zeitenwende“ ein Projekt auf den Weg zu bringen, in welchem er sich gemeinsam mit den Lüneburger Symphonikern auf die Suche nach dem ursprünglichen Klang begibt. „In hoch spezialisierten Barock-Ensembles werden die alten Instrumente noch gespielt, dort erhält der Zuhörer einen Eindruck davon, wie sehr sich der ursprüngliche Klang der Musik von dem heutigen unterscheidet.“ Diese Spurensuche nach dem authentischen Klang betreibt Dorsch mit großer Sorgfalt, wobei er um seine Grenzen weiß: „Das Original werden wir nicht erreichen, denn es existieren keine Aufzeichnungen, an denen wir uns orientieren können. Es wird immer nur bei einer Annäherung bleiben.“ Und dennoch: mit seinem Enthusiasmus hat er in kürzester Zeit seine Musiker verführt, diese Idee gemeinsam weiterzuverfolgen. Neben den Instrumenten und ihrem Klang interessiert vor allem die Art und Weise, wie man klassische Musik zum klingen bringt, wie man sie artikuliert. Ein Ansatz, der zwar nicht neu ist, so Dorsch, der aber in dieser Intensität von einem Theaterorchester normalerweise nicht geleistet wird. Viel Probenarbeit wurde in den letzten Monaten investiert, man befindet sich bereits mitten in der Materie. Mit „Zeitenwende“ wurden die ersten Ergebnisse dem Publikum präsentiert, die Reaktion bedachte sie mit tosendem Beifall.

Die Lüneburger Symphoniker schärfen mit dem Verfolgen dieses Ansatzes ihr Profil. Für ihre Arbeit mit Musik, die sich mit der Zeit um Haydn, Mozart, Beethoven auseinandersetzen, haben sie sich einen neuen Namen gegeben: Als Norddeutsche Kammerakademie werden sie sich künftig auch über die Grenzen Lüneburgs hinaus beweisen können.

Für drei von insgesamt sechs Meisterkonzerten hat Thomas Dorsch die Leitung übernommen. Schon am 23. November wird es in der Lüneburger St. Johanniskirche um „Menschliches und Übermenschliches“ gehen. Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ steht dann auf dem Programm, Stücke aus Alban Bergs „Wozzeck“ und Benjamin Brittens „Sinfonia Da Requiem Op. 20“. Für die Symphoniker des Lüneburger Theaters geht es also anspruchsvoll weiter; unterstützt werden sie von der außergewöhnlichen Sopranistin Lauren Welliehausen, dem Hildesheimer Orchester des Theaters für Niedersachsen und den jungen Musikerinnen und Musikern der Musikschule Lüneburg.

Eine Ansage schallt aus den Lautsprechern der Theaterkantine, Erinnerung für die Darsteller, sich auf die Probenbühne zu begeben. Bruchstücke einer Arie wehen herüber, Stimmengemurmel beim Einstudieren der Texte. Überall Geräusch, Klang, Stimme. Thomas Dorsch empfindet die geräuschvolle Welt manchmal als anstrengend. „Wir haben das bewusste Hören verlernt, der Stille zu lauschen.“ Als Musiker und auch als Komponist sind dies für ihn elementare Eigenschaften, die unabdingbar sind, um den Klang der Musik in seiner ganzen Größe wahrnehmen zu können, in sie hineinzuschauen, sie zu ergründen, und sie schließlich für das Publikum zu einer greif- und erfahrbaren Sprache werden zu lassen. Davon handelt auch seine Komposition „Vom Lärm der Welt oder Mia’s Reise ins Reich der Noten“. Doch dies ist eine andere Geschichte. (nm)

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